Freitag, 31. Mai 2019

Kaliningrad(Königsberg)/ Russland (23.5.- 27.5.)


Wysmorje
Was hatten wir nicht alles gehört oder gelesen. Russland mit dem Segelboot zu bereisen sei teuer(Visum), nicht kalkulierbar, stressig, man sei bürokratischer Willkür ausgesetzt und andere „mutmachende“ Aussagen. Nur Wenige äußerten sich uneingeschränkt positiv und stellten z.B. die Gastfreundschaft der Menschen in den Vordergrund. Davon wollten wir uns nun selbst ein Bild machen und integrierten Kaliningrad und St. Petersburg in unsere Reise. Schon Wochen vorher mussten Visa beantragt und Dokumente kopiert werden und Paule brauchte ein tierärztliches Gesundheitszeugnis. Die konkrete Planung erfolgte zusammen mit Olaf von der Aphrodite in Gdansk. Die Analyse der Voraussetzungen- Wind, Wetter, Wellenhöhen, Zeiten für frei durch fahrbare Schießgebiete, Zollöffnungszeiten, Entfernungen…- ergaben den Abreisetermin 23.Mai. Auch wenn der polnische Zoll früh um 5 etwas auf sich warten ließ (Patrouille), passte alles prima. Bald stand die KETO unter Segeln und brauste mit zum Teil mehr als 9 Knoten in Richtung Osten. Hohe Wellen von hinten beschleunigten die Fahrt und wollten unbedingt bei uns einsteigen. Zum Glück haben wir einen hohen Bord und es blieb bei ein paar Spritzern. 10 Stunden später erreichten wir den Hafen von Baltijsk (Pillau). Dort sollte der Zoll zu finden sein, bei dem die Einklarierung nach Russland stattfinden muss. Aber wo bitte ist Hafenbecken 3? Links und rechts säumten Handelsschiffe und Kräne, Container- und Schüttgutlager das Ufer aber irgendwie mitten durch links abbiegend tat sich der kleine Holzsteg tatsächlich am Ende des Beckens auf. Im Regen begrüßten uns zwei uniformierte Beamte und verlangten die Pässe, zwei weitere wollten aufs Boot zum Formulare ausfüllen, verfolgt von noch Zweien, welche, ausgerüstet mit Taschenlampe und Fotoapparat, die KETO unter die Lupe nahmen und dabei den Inhalt jeder Öffnung des Bootes fotografisch dokumentierten. Nur der Suchhund (Deutscher Schäferhund) kam nicht an Bord, die Konfrontation mit Paule sollte wohl vermieden werden. Alles verlief in freundlich exakter Atmosphäre und trotz fehlender Sprachkenntnisse und sehr beengten Bedingungen zur beiderseitigen Zufriedenheit. Noch weitere 11sm lagen vor uns, dient der Hafen Baltijsk doch ausschließlich als Zoll- und Handelshafen. Zweieinhalb Stunden unter Motor ging es die Pillauer Rinne in Richtung Kaliningrad, welches sogar 20sm entfernt liegt. Unser Ziel aber war Wysmorje (Haidekrug), welcher wohl der einzige nahe Haltepunkt für Segelboote ist. In den kleinen Hafen einbiegend winkte man uns dort sofort auf einen freien Platz, viele gab es davon nicht gerade. Ein gut Englisch sprechender Verantwortlicher hieß uns willkommen und erklärte die Bedingungen: 20€/Nacht, Toilette im Dixiehäuschen, Dusche ebenso, Strom und Wasser(nicht trinkbar) frei, kein W-LAN, Einkaufsmöglichkeiten im Ort, Verbindung nach Kaliningrad  und… eigentlich sei kein Platz bis Sonntag frei, da sie Vereinsregatta hätten, aber er werde mal sehen. Am Ende durften wir sogar bis Montag bleiben und erlebten einen lustigen Nachmittag mit russischem Vereinsleben. Zuvor stand aber Stadtbesichtigung an. Nach dem Bezahlen von sagenumwobenen 55 Rubeln (80Cent) bei einer Schaffnerin mit Ticketrollen über der Brust fuhren wir die halbstündige Strecke mit einem Reisebus in die City. Schnell versuchend die ausgerufenen Haltestellen auf einem Stadtplan zu orten, stiegen wir tatsächlich zentrumsnah aus. Modernes Großstadtleben vor unserer Nase (viel Verkehr, Einkaufszentren, Menschenströme…), fühlten wir uns plötzlich ein wenig zeitversetzt: goldglänzende „Zwiebeltürmchen“ auf der Kirche und trachtengeschmückte Kindertanz- und Musikgruppen ließen uns wirklich begreifen: wir sind in Russland. Bald erkannten wir, dass der vieljährige Russischunterricht doch nicht ganz vergebens war. Auch wenn fast alle Vokabeln verschütt gegangen sind, konnten wir die kyrillischen Buchstaben wenigstens lesen und so oft auch erschließen. Und irgendwie schien auch ein gewisser Wortschatz im Hinterstübchen abgespeichert worden zu sein. Als mich z.B. die Kellnerin auf Russisch fragte, ob ich meine Soljanka mit oder ohne Sahne möchte, verstand und antwortete ich ohne Nachzudenken. Verrückt! Wir besuchten in den zwei Tagen in der Stadt einen riesigen Markt (und kauften deutsche Haferflocken) und das Geburtshaus meines Vaters, wurden im Fußballstadion des Platzes verwiesen (nur wegen Paule), aßen uns durch die Speisekarte einer Gaststätte (zumindest fast, hier gab`s freies W-LAN), spazierten über die Kantinsel mit Dom und erlebten den „Überfall“ einer Bande wilder Jetskifahrer auf nahe am Fluss sitzende oder laufende Touristen (die durch schnelles Driften entstehende Heckfontäne weichte nicht nur einen völlig ein). Auf dem Weg zurück zum Yachthafen ergänzten wir preiswert unsere Nahrungsvorräte und Trinkwasser im „Magazin“ (große Tante- Emma-Läden mit freundlicher Bedienung) und im tollen Laden des „Fischkolchos“. Am nächsten Tag stand die erwähnte Regatta auf dem Plan. Allerdings bekamen wir davon kaum etwas mit, war sie doch schon nach ca. 3 Stunden wieder beendet. Sowieso schien der anschließende gesellige Teil der Wichtigere zu sein. 70 Liter Freibier, Fischsuppe im Riesentopf über dem Feuer und große aufgeklappte geräucherte Fische unbekannter Art (aber total lecker) ließen die Stimmung schnell steigen. Und wir waren dazu eingeladen! Spätestens als der erste Tost ausgebracht wurde (verstanden haben wir nur „deutsche Freunde“ und „Druschba = Freundschaft“) wären wir vor Scham am liebsten in den Boden versunken. Das verstärkte sich noch, als der Vereins-Chef den beiden deutschen Booten die Preise für Platz 2 und 3 der „Offenen Kategorie“ der Regatta überreichte, ohne dass wir überhaupt daran teilgenommen hatten! Bis in den Abend hinein pflegten wir, in verschiedenen Sprachen radebrechend und einen Wodka nach dem anderen trinkend, die russisch- deutsche Freundschaft. Ein Erlebnis, welches noch lange nachhallte. Und dies nicht nur, weil ein Teil unseres Preises, ein riesiger Räucherfisch, noch tagelang unseren Speiseplan bestimmen wird… 






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