Wysmorje |
Was hatten
wir nicht alles gehört oder gelesen. Russland mit dem Segelboot zu bereisen sei
teuer(Visum), nicht kalkulierbar, stressig, man sei bürokratischer Willkür
ausgesetzt und andere „mutmachende“ Aussagen. Nur Wenige äußerten sich
uneingeschränkt positiv und stellten z.B. die Gastfreundschaft der Menschen in
den Vordergrund. Davon wollten wir uns nun selbst ein Bild machen und integrierten
Kaliningrad und St. Petersburg in unsere Reise. Schon Wochen vorher mussten
Visa beantragt und Dokumente kopiert werden und Paule brauchte ein
tierärztliches Gesundheitszeugnis. Die konkrete Planung erfolgte zusammen mit
Olaf von der Aphrodite in Gdansk. Die Analyse der Voraussetzungen- Wind,
Wetter, Wellenhöhen, Zeiten für frei durch fahrbare Schießgebiete,
Zollöffnungszeiten, Entfernungen…- ergaben den Abreisetermin 23.Mai. Auch wenn
der polnische Zoll früh um 5 etwas auf sich warten ließ (Patrouille), passte
alles prima. Bald stand die KETO unter Segeln und brauste mit zum Teil mehr als
9 Knoten in Richtung Osten. Hohe Wellen von hinten beschleunigten die Fahrt und
wollten unbedingt bei uns einsteigen. Zum Glück haben wir einen hohen Bord und
es blieb bei ein paar Spritzern. 10 Stunden später erreichten wir den Hafen von
Baltijsk (Pillau). Dort sollte der Zoll zu finden sein, bei dem die
Einklarierung nach Russland stattfinden muss. Aber wo bitte ist Hafenbecken 3?
Links und rechts säumten Handelsschiffe und Kräne, Container- und
Schüttgutlager das Ufer aber irgendwie mitten durch links abbiegend tat sich
der kleine Holzsteg tatsächlich am Ende des Beckens auf. Im Regen begrüßten uns
zwei uniformierte Beamte und verlangten die Pässe, zwei weitere wollten aufs
Boot zum Formulare ausfüllen, verfolgt von noch Zweien, welche, ausgerüstet mit
Taschenlampe und Fotoapparat, die KETO unter die Lupe nahmen und dabei den
Inhalt jeder Öffnung des Bootes fotografisch dokumentierten. Nur der Suchhund
(Deutscher Schäferhund) kam nicht an Bord, die Konfrontation mit Paule sollte
wohl vermieden werden. Alles verlief in freundlich exakter Atmosphäre und trotz
fehlender Sprachkenntnisse und sehr beengten Bedingungen zur beiderseitigen
Zufriedenheit. Noch weitere 11sm lagen vor uns, dient der Hafen Baltijsk doch
ausschließlich als Zoll- und Handelshafen. Zweieinhalb Stunden unter Motor ging
es die Pillauer Rinne in Richtung Kaliningrad, welches sogar 20sm entfernt
liegt. Unser Ziel aber war Wysmorje (Haidekrug), welcher wohl der einzige nahe
Haltepunkt für Segelboote ist. In den kleinen Hafen einbiegend winkte man uns dort
sofort auf einen freien Platz, viele gab es davon nicht gerade. Ein gut
Englisch sprechender Verantwortlicher hieß uns willkommen und erklärte die
Bedingungen: 20€/Nacht, Toilette im Dixiehäuschen, Dusche ebenso, Strom und
Wasser(nicht trinkbar) frei, kein W-LAN, Einkaufsmöglichkeiten im Ort,
Verbindung nach Kaliningrad und…
eigentlich sei kein Platz bis Sonntag frei, da sie Vereinsregatta hätten, aber
er werde mal sehen. Am Ende durften wir sogar bis Montag bleiben und erlebten
einen lustigen Nachmittag mit russischem Vereinsleben. Zuvor stand aber
Stadtbesichtigung an. Nach dem Bezahlen von sagenumwobenen 55 Rubeln (80Cent)
bei einer Schaffnerin mit Ticketrollen über der Brust fuhren wir die
halbstündige Strecke mit einem Reisebus in die City. Schnell versuchend die
ausgerufenen Haltestellen auf einem Stadtplan zu orten, stiegen wir tatsächlich
zentrumsnah aus. Modernes Großstadtleben vor unserer Nase (viel Verkehr,
Einkaufszentren, Menschenströme…), fühlten wir uns plötzlich ein wenig
zeitversetzt: goldglänzende „Zwiebeltürmchen“ auf der Kirche und
trachtengeschmückte Kindertanz- und Musikgruppen ließen uns wirklich begreifen:
wir sind in Russland. Bald erkannten wir, dass der vieljährige
Russischunterricht doch nicht ganz vergebens war. Auch wenn fast alle Vokabeln
verschütt gegangen sind, konnten wir die kyrillischen Buchstaben wenigstens
lesen und so oft auch erschließen. Und irgendwie schien auch ein gewisser
Wortschatz im Hinterstübchen abgespeichert worden zu sein. Als mich z.B. die
Kellnerin auf Russisch fragte, ob ich meine Soljanka mit oder ohne Sahne
möchte, verstand und antwortete ich ohne Nachzudenken. Verrückt! Wir besuchten
in den zwei Tagen in der Stadt einen riesigen Markt (und kauften deutsche
Haferflocken) und das Geburtshaus meines Vaters, wurden im Fußballstadion des
Platzes verwiesen (nur wegen Paule), aßen uns durch die Speisekarte einer
Gaststätte (zumindest fast, hier gab`s freies W-LAN), spazierten über die
Kantinsel mit Dom und erlebten den „Überfall“ einer Bande wilder Jetskifahrer
auf nahe am Fluss sitzende oder laufende Touristen (die durch schnelles Driften
entstehende Heckfontäne weichte nicht nur einen völlig ein). Auf dem Weg zurück
zum Yachthafen ergänzten wir preiswert unsere Nahrungsvorräte und Trinkwasser
im „Magazin“ (große Tante- Emma-Läden mit freundlicher Bedienung) und im tollen
Laden des „Fischkolchos“. Am nächsten Tag stand die erwähnte Regatta auf dem
Plan. Allerdings bekamen wir davon kaum etwas mit, war sie doch schon nach ca.
3 Stunden wieder beendet. Sowieso schien der anschließende gesellige Teil der
Wichtigere zu sein. 70 Liter Freibier, Fischsuppe im Riesentopf über dem Feuer
und große aufgeklappte geräucherte Fische unbekannter Art (aber total lecker)
ließen die Stimmung schnell steigen. Und wir waren dazu eingeladen! Spätestens
als der erste Tost ausgebracht wurde (verstanden haben wir nur „deutsche
Freunde“ und „Druschba = Freundschaft“) wären wir vor Scham am liebsten in den
Boden versunken. Das verstärkte sich noch, als der Vereins-Chef den beiden
deutschen Booten die Preise für Platz 2 und 3 der „Offenen Kategorie“ der
Regatta überreichte, ohne dass wir überhaupt daran teilgenommen hatten! Bis in
den Abend hinein pflegten wir, in verschiedenen Sprachen radebrechend und einen
Wodka nach dem anderen trinkend, die russisch- deutsche Freundschaft. Ein
Erlebnis, welches noch lange nachhallte. Und dies nicht nur, weil ein Teil
unseres Preises, ein riesiger Räucherfisch, noch tagelang unseren Speiseplan
bestimmen wird…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen