Sonntag, 23. September 2018

Hardcore- Navigation


Västervik

Tatsächlich fuhr die KETO in Richtung Västervik seit langer Zeit wieder einmal unter Segeln. Noch vor Tagen hatte Carsten ein Fortbewegen eben unter diesen innerhalb der Schären völlig ausgeschlossen, aber die ausreichende Breite des Fahrwassers, die gute Sicht bei Sonnenschein sowie der günstige Wind stimmten ihn um. Was war das für ein gutes Gefühl, mal ohne Motorgeräusch über das Wasser zu fliegen. Gleich konnte man die traumhafte Natur doppelt genießen. Einzig bei kniffligen, engen Stellen kam der Motor zum Einsatz. Und die gab es durchaus! Wenn die Felsen beidseitig so 5m neben dem Boot liegen, hält man schon mal kurz die Luft an … Der Gästehafen von Västervik hat sicher schon bessere Zeiten gesehen. Er wirkte ungepflegt und verlottert. Herumliegender Müll, nicht gereinigte Sanitäranlagen ließen, trotz vorhandener Sauna, wenig Wohlbefinden aufkommen. Dafür zeigte sich der Ort von seiner besten Seite: gepflegte, neue Anlagen, Holzplattformen und Sitzgelegenheiten, eine gemütliche Innenstadt mit hilfsbereiten, netten Menschen. In langen Spaziergängen entdeckten wir Altbekanntes (frühere Urlaube!) wieder und- vergaßen dabei gleich unseren Hochzeitstag, zum Glück alle beide! Da wir jetzt jeden auch nur halbwegs nutzbaren Tag für eine Weiterfahrt nutzen müssen, um vor Weihnachten zu Hause zu sein, ging es nach zwei Tagen weiter nach Figeholm. Gegenwind und hohe Wellen zwangen uns unter Motor in ein unglaublich enges und verzwicktes, aber küstennahes Fahrwasser. Und trotz der vielen gefahrenen Seemeilen in den vergangenen Wochen, zwischen Steinen und Schären hindurch, hätte es uns diesmal fast doch erwischt: ein Wald aus roten und grünen Spieren säumte den Weg und eigentlich schien lange Zeit alles logisch zu sein, als der Plotter Carsten eine Richtung vorgab, in der deutlich sichtbar, knapp unter der Wasseroberfläche, Felsen zu erkennen waren und eine grüne Tonne, die rechter Hand vor uns lag, im Plotter einfach fehlte. Nur die schnelle Reaktion Carstens bewahrte uns vor dem Auffahren. Nach minutenlanger Verwirrung und einem Blick in die Papierkarten beschloss auch der Plotter uns wieder zu Diensten zu sein, drehte irgendwie die Ansicht und der richtige Weg wurde klar. Nun sehr aufmerksam, beide Seekartenvarianten immer abgleichend, setzten wir die Tour fort und waren sehr froh, als der nett aussehende (aber auch geschlossene) Hafen von Figeholm erreicht war. Hilfsbereit organisierte uns ein Mitglied des dortigen Klubs telefonisch die Hafenmeisterin und damit den Zugang zu den Sanitäranlagen. Der Erholungstag war nach dem Schreck dringend notwendig und wir nutzten ihn gleich zum Grillen.
Figeholm
Sonnenaufgang in Figeholm
Die abendliche Planung für den nächsten Tag gipfelte diesmal in einen Plan A und B. Wieder standen fast westliche Winde an und so schien uns Borgholm auf der Insel Öland (ca. 30sm) am besten erreichbar (A), sollte sich aber die Welle draußen als zu hoch erweisen oder zu südliche Winde auftreten, wollten wir Timmernabben (B, gleiche Entfernung) an der Ostküste erreichen. Aus der Erfahrung der Anfahrt heraus tasteten wir uns am nächsten Morgen ab 8.00 Uhr langsam im gegen die Sonne schlecht unterscheidbaren rot /grünen Stangenwald vor. So viele enge Stellen, sichtbare und weniger sichtbare Steine um uns herum forderten vollste Konzentration. Wie sehnten wir die offene See herbei…als wir sie dann endlich erreichten, war die Enttäuschung groß. Kabbelige See mit Meterwellen und (mal wieder) Südwind ließen die KETO tanzen und bocken, minimierte die Geschwindigkeit auf etwas über 3,5 Knoten und schredderte damit sowohl Plan A als auch B! Plan C musste her und zum Glück ergab er sich nach einem Blick auf die Karte schnell: Abkürzung des Etappenabschnitts, Öland ade, Mönsteras hieß das neue Ziel.
Schärenidylle
Nach ca. 5sm Anfahrt erreichten wir, kurz vor Beginn des Regens, ein tristes Hafenbecken. Aber auch wenn es wenig einladend erschien, bot es für den angesagten 2-tägigen Sturm tatsächlich einen guten Schutz. Etwas irritiert waren wir allerdings über die große Anzahl Migranten aller Altersgruppen im Hafen. Es hinterlässt irgendwie ein komisches Gefühl, auf dem Weg zur Toilette durch ganze Gruppen junger Männer hindurch laufen zu müssen. Es sah für uns so aus, als wurden Räume des Servicegebäudes zeitweise als Moschee genutzt. Erst gegen 22.00 Uhr kehrte Ruhe ein. Am nächsten Morgen sah die Welt schon viel freundlicher aus. Nach einem späten Frühstück kamen wir nicht so richtig in Tritt, da uns ständig vorbeilaufende Passanten auf Deutsch in durchaus informative Gespräche verwickelten. Ein 83-jähriger schwedischer Segler gab uns dann den Tipp des Tages: ein Cafe mit Mittagsangebot in der Stadt könne er wirklich empfehlen… viel Lust zum Kochen verspürte ich nicht und so aßen wir für umgerechnet 9,50€ vom Buffet Köstlichkeiten en gros, z.B. die leckerste Fischsuppe meines Lebens, Nussbrot, Quinoasalat… Später lernten wir den letzten Handelssegler Schwedens kennen, der wie wir wegen des Wetters festlag. Acht Tonnen Kartoffeln und Zwiebeln bringt er aus Öland bei einer Fahrt mit seinem 90 Jahre alten Holzsegler in die umliegenden Häfen der Gegend und verkauft sie direkt von Bord an Endkunden. Seine Einnahmen würden die Kosten des Erhalts des Bootes decken und er sei zufrieden. Er versetzte uns wirklich in Erstaunen, denn bei einer Besichtigung wurde klar, wie wenig komfortabel und arbeitsintensiv sein Leben war und wie zufrieden er trotzdem dabei wirkte. …
Mönsteras- hinter uns liegt der Handelssegler
Auch wenn ich an diesem Abend jedes, aber auch wirklich jedes Romméspiel  gegen Carsten verlor, konnte dies den tollen Tag nicht mehr vermiesen…