Mittwoch, 19. Juni 2019

Lettische Überraschungen (11.6.-17.6.)


Da wir Riga, die Hauptstadt Lettlands, auf Grund des Windes vorab ausgelassen hatten, ging es von Ruhnu das erste Mal in südliche Richtung weiter und dies gleich lange 60sm. Tatsächlich schien der Wind sich auf unsere Pläne einzulassen und wir segelten bei wechselhaften Wetterverhältnissen fast vollständig unter Windsteueranlage mit ungefähr 6 Knoten Geschwindigkeit. Da Carsten somit nicht am Ruder stehen brauchte, konnte er seine Kräfte fürs mehrmals nötige Reffen und Ausreffen einsetzen, wäre ja sonst auch langweilig geworden. Nur die letzten 7sm Flussfahrt (Daugava) unter Motor bis zum Stadthafen Riga  zogen sich gefühlt ewig hin. Obwohl dieser mit seiner Lage dicht an der Altstadt sicher der unruhigste Standplatz ist, wählten wir ihn, um auch mal ohne Paule ein paar Schritte gehen zu können. Nur fünf Gastboote lagen vor Ort und kein Hafenmeister zu finden. Zum Glück war ein freundlicher Pole des Englischen mächtig und so fanden wir mit seiner Hilfe zumindest Toilette und Dusche. „Hinter dem Restaurant einen schmalen, grünen Gang entlang aber vor der Küche rechts!“ Der Hafenmeister flog abends dann per Boot doch noch ein (= fliegender Hafenmeister; er betreut zwei Marinas) und kassierte 25€/ Nacht. Na ja, der Preis war zwar der größten Stadt des Baltikums (650000Ew.) angemessen, nicht aber dem vorhandenen Service. Die polnische Jugend auf dem Boot neben uns nutzte  die fehlende Kontrolle gleich weidlich aus. Nach reichlich Alkohol versuchten sie sich 1.30 Uhr lautstark auf einen Liedtext zur Gitarre zu einigen,  was aber hörbar misslang. Die schnell herbei gesuchten Gehörschutzstöpsel linderten unsere Qual vielleicht ein wenig, gegen die innere Wut halfen sie allerdings nicht.
Am nächsten Tag stürzten wir uns unausgeschlafen ins Stadtgetümmel. Mich interessierte vor allem das alte Riga, dessen Anfänge auf das 13. Jh. zurückgehen. Viele Gebäude blieben trotz zweier Weltkriege erhalten oder wurden detailgetreu wieder aufgebaut. Zu Beginn war von „Getümmel“ nichts zu spüren, liefen wir doch lange im Grünen, d.h. am Stadtkanal entlang, welcher die historische Altstadt fast umschließt. Zwischen alten Bäumen, Skulpturen, Springbrunnen ging es über verzweigte Wege in „Pauletempo“ Richtung Zentrum. Bei um die 30°C konnten wir ihn natürlich nicht auf dem Boot lassen. Dort war hinter jeder Ecke ein anderes schmuckes Gebäude zu entdecken- Jakobskathedrale, Dom, Rathausplatz mit Schwarzhäupterhaus, Livenplatz mit Gildenhäusern und Katzenhaus, Petrikirche (von deren Turm man einen tollen Blick über die Altstadt hat), Jugendstilhäuser und überall Restaurants und Straßencafés und Kneipen…Besonders hatte es uns aber die Vielfalt des Zentralmarktes (rund 72000m², 5 Hallen plus Außengelände) angetan- liefen wir am ersten Tag noch staunend durch die schier unendlichen Gänge, ergänzten wir einen Tag später unsere Vorräte an Fisch, Obst und Gemüse sowie frischem Brot dort. Als Carsten am Ende des 2. Tages bemerkte: „Wenn wir noch einen Tag durch die Stadt tigern, kann ich hier Stadtführer werden…!“, war klar, dass es bald weitergehen muss. Martin, unser fliegender Hafenmeister, kündigte für das bevorstehende Wochenende auch gleich noch „wahrscheinliche Lärmbelästigung“ an und so fiel uns der Abschied noch leichter. Dazu hatten wir die Hoffnung, mal einen Hafen mit Bademöglichkeit zu finden. Da es eine sehr überschaubare Anzahl von Häfen im Osten der Rigaer Bucht gibt, wählten wir den in kürzester Entfernung (27sm)- Skulte. Sprach unser älteres Hafenhandbuch von einem Steg ohne Serviceeinrichtungen aber geplantem Neubau, wies eine Karte/Prospekt den Hafen mit 50 Liegeplätzen und (außer Duschen?!) vollem Service aus. Auf letztere Aussagen vertrauend ging es nach der Passage der Daugava, unter Segel bei mäßigem Wind und zunehmendem Dunst, voran. Zum Glück sahen wir gerade noch rechtzeitig die rechts und links des Fahrwassers markierten Schwimmnetze der Fischer und kurvten fluchend herum. In diesem Teil der Ostsee sollte man echt keine Abkürzungen versuchen. Die Hafeneinfahrt Skulte war gut zu erkennen. Weitsichtbare Holz- und Holzspanberge flankierten gelbleuchtend die Einfahrt beidseitig. Gespannt folgten wir dem Flusslauf der Age und fanden… nichts. Ganz am Ende, kurz bevor das immer schmaler werdende Flüsschen um eine letzte Biegung verschwand, erblickten wir einen Holzsteg vor einer Werft, an welchem 5 Boote vertäut lagen. Sollte dies die 50-Platz-Marina sein?! Irgendwie eine 0 zu viel! Etwas irritiert machten wir am letzten freien Liegeplatz fest. Es stellte sich schnell heraus, dass tatsächlich nichts vorhanden war, kein Wasser, keine Toilette, selbst der Stromkasten stand viel weiter weg, als unser Kabel lang war. Was nun? In keiner Richtung gab es einen nahen Ausweichhafen, also hieß es, sich unter „Ankerbedingungen“ einzurichten- kostenfrei mit dem Luxus des Landzuganges. Wir schnappten uns Paule und wollten wenigstens einen Blick auf das „…idyllische Dorf mit hübschen Sommerhäusern inmitten großer Gärten…“(Küstenhandbuch Baltikum) werfen. Aber egal in welche Richtung wir das weitläufige und durchaus grüne Firmengelände auch verlassen wollten, immer scheiterten wir an verschlossenen Toren! Na gut, eins war offen. Aber das große Vorhängeschloss konnte man nicht übersehen und der Fischer, der gerade auf diesem Weg gekommen war, wollte vielleicht bald wieder hinaus. Die Gefahr bestand also, dass wir nach Verlassen des Geländes ausgesperrt wären! Dieses Risiko scheuend verblieben wir also „völlig freiwillig“ und frustriert innerhalb des Zaunes und ließen das Dorf links liegen. Am Abend stellte sich dann tatsächlich doch noch die versprochene idyllische Atmosphäre ein. Kein Zivilisationsgeräusch, nur Vogelgezwitscher und Möwengezänk waren zu hören, kein Mensch zu sehen und die Bootsausrichtung mit Blick ins Grüne verleiteten Carsten dazu, die bisher ungenutzte Angel hervorzuholen. Und nicht einmal der fehlende Angelerfolg konnte uns noch schockieren…Vor allem Paule wollten wir aber natürlich nicht weiter diesen „Käfigbedingungen“ aussetzen und so ging es am nächsten Morgen gleich weiter nach Salagriva/ Kuivizi. Auch hier wies unser neues Prospekt 35 Liegeplätze bei vollem Service aus, die sollten in der Vorsaison genügen. So einen Reinfall erlebt man sicher nicht zweimal. Man soll niemals „nie“ sagen! Auch in Kuivizi folgten wir dem Flusslauf, bogen rechter Hand zur vermeintlichen Marina ab und…fanden diesmal nicht einmal den einen freien Platz. Allerdings gab es auch längst nicht 35 davon, sondern höchstens 10 und die waren von Einheimischen belegt. Ein alter Mann rief uns vom gegenüberliegenden Ufer auf Deutsch zu, wir könnten dort an einem Schwimmponton (Arbeitsplattform) festmachen, das sei sicher ok. Gesagt- getan. Da wir keine Lust auf Experimente hatten folgten wir seinem Vorschlag. Im nahen Hotel mussten wir dafür tatsächlich später auch noch 22€ Liegegebühr bezahlen! Im Gespräch hinterfragten wir die Unstimmigkeiten des Prospektes natürlich. Er lächelte nur und erwiderte: „So ist Lettland. In Estland wird es wieder besser!“. Na dann, schauen wir mal…

In der Fischhalle


Riga- Sonnenuntergang im Stadthafen
Skulte - Werftsteg...
...mit Blick ins Grüne

Kuivizi- exklusiver Landeplatz

Strand Kuivizi- Paule ist selig...