Mittwoch, 5. Juni 2019

Augen zu und durch (28.5.-6.6.)


KETO vor Queen Victoria bei Ausfahrt Klaipeda

Das im zweiten Teil unserer Ostseerunde einiges anders laufen würde war mir schon klar. Rein reisetechnisch waren es vor allem die Entfernungen zwischen den Häfen, die eine andere Dimension hatten. Sind für uns bisher Strecken über 50sm eher die Ausnahme gewesen, werden sie mittlerweile fast selbstverständlich. Besonders für Paule stellen sie, mit zum Teil über 10 Stunden Hundekoje, eine große Herausforderung dar. Und nun lag eine viel längere, vielleicht sogar die längste Strecke, vor uns. Klaipeda in Littauen musste der nächste Haltepunkt sein, obwohl durchaus noch russische Häfen anlaufbar wären. Da aber das An- und Abmelden zentral in Baltjisk stattfinden soll (Vorschrift), hätten wir danach wieder zurückfahren müssen. Das machte keinen Sinn, also „Augen zu und durch“! 6.45 Uhr legten wir in Wysmorje ab und motorten nach Baltjiskk. Wieder durchliefen wir eine moderate Zollkontrolle, Paule wurden noch 5 Minuten „Pullerpause“ auf russischem Boden zugestanden und dann ging´s richtig los. Mit gerefftem Vorsegel verließen wir den Hafen um kurze Zeit später wieder auszureffen- der angesagte Wind fehlte und nahm sogar immer weiter ab. Nachdem das Setzen des Spinnakers völlig in die Hose ging (Carsten entkam nur knapp dem herumfliegenden Spibaum), musste der Gennacker herhalten. Jetzt frischte der Wind natürlich auf und plötzlich ging es in rauschender Fahrt voran.  Die Meilen schmolzen nur so dahin und ich begann gerade von einer baldigen Ankunft zu träumen… als der Wind  wohl schlafen ging und einzig der Motor die verbleibenden 35 Seemeilen abarbeitete. Das Boot rollte unangenehm über die querlaufende Welle. Zwischenzeitlich war die Sonne untergegangen und die Müdigkeit ließ die Augen einfach zufallen. Nach einer kurzen Siesta unter Deck meinerseits (an Schlaf war nicht zu denken) diskutierte ich mit Carsten, auf der Leiter stehend, die von Olaf per Funk hinterfragte Bedeutung der Leuchtbojen um uns herum (Alternativen: Schießgebietsmarkierungen, ehemaliger Minenlegeort oder Munitionsversenkstelle…), als mich tatsächlich die Seekrankheit erwischte. Nach mittlerweile so vielen Meilen kam dies wie aus heiterem Himmel und machte die nächsten Stunden nicht angenehmer. Endlich schien Klaipeda greifbar nah und nur noch das Überwinden der unangenehm hohen und kraftvoll in der Hafeneinfahrten Wellen (Wassertiefe ändert sich hier schlagartig von 40m auf 11m) und der litauische Zoll standen zwischen uns und den ersehnten Betten. Vor lauter Aufregung hatte niemand an die fällige Anmeldung per Funk bei der Coast Guard gedacht und so fingen wir einen Rüffel des Küstenschutzes per Handzeichen vom Ufer und per Funk ab und die Anweisung, uns zum Zollsteg zu begeben. Ihre Anweisung wiedersprach aber der Aussage unserer Karte und da wir eher ihr als unseren Englischkenntnissen vertrauten, fuhren wir in das vermeintliche Zollbecken. In der allerletzten Ecke fanden wir einen Liegeplatz und wurden kurz darauf von zwei freundlichen litauischen Beamtinnen, welche unsere Irrfahrt vom Auto aus genau beobachtet hatten, begrüßt und abgefertigt. Jetzt hieß es nur noch die Brücke zu Festungsgraben zu passieren (unser Hafen), die pünktlich durch Angestellte per Muskelkraft (Drehbrücke) geöffnet wurde und endlich war es geschafft. 102 Seemeilen in 22 Stunden lagen hinter uns. Und Paule?! Mit gaaanz schlechtem Gewissen ob der zugemuteten Situation holten wir unseren Freund nach oben. Aber als ob diese Tour trotz ihrer Länge für ihn Alltag gewesen sei, eroberte er schwanzwedelnd das Deck, reckte die Nase in den Wind und machte so noch nicht mal den Eindruck durchlebter Not. Nicht einmal in der ganzen Zeit hatte er sich gemeldet, hatte den Großteil der Reise einfach verschlafen! Obwohl wir uns am liebsten in die Kojen verkrochen hätten, musste Paule nun zu seinem Recht kommen. So eroberten wir die nahe gelegene Innenstadt von Klaipeda früh 7 Uhr. Im einzig offenen Laden uns mit Brötchen und Kuchen versorgend, ging`s zurück und nach einem ausgiebigem Frühstück endlich ins Bett.

Nach solch durchwachter Nacht fiel eine sofortige Weiterfahrt aus. Überhaupt waren wir im Zweifel in welche Richtung. Die Kuhrische Nehrung wollten wir nicht so einfach auslassen, andererseits wehte uns der Wind entgegen, das Wetter war durchwachsen und auf 30sm unter Motor hatte niemand Lust. Zusammen mit Olaf begaben wir uns so am nächsten Tag zur Touristeninformation, um eine Busverbindung nach Nida (Hauptort auf der K.N.) zu erfragen. Der Plan war erfolgreich und uns blieb sogar noch ein wenig Zeit, um auf dem Marktplatz an ein paar Handwerkerständen vorbei zu bummeln (Töpfer, Weberinnen, Holzschnitzer, Textilgestalter und die in diesen Breitengraden allgegenwärtigen Bernsteinstände). Mit Fähre und Bus ging es später nach Nida. Durch schier endlose Kiefern- und Birkenwälder ging es voran. Nur manchmal blitzte links und rechts das spiegelnde Wasser der Ostsee bzw. des Haffs auf, waren die Häuser der kleinen Ansiedlungen zu sehen. Im Ort ging es hinauf auf die 52m hohe, weißleuchtende Parnidis Düne, auf der seit 1995 auch ein Sonnenuhr- Kalender steht. Für Paule ein Paradies, konnte er nach längerer Zeit mal wieder frei laufen und seinen eigenen Weg suchen. Nach der Mittagseinkehr in einem Lokal mit Biergarten und Blick aufs Haff (lecker aber nicht sehr viel), folgendem Spaziergang durch den hübschen Ort und Kaffepause ging es am Abend mit dem Bus zurück zum Boot. Die nächsten Stationen sind schnell genannt: Liepaja (30.5./31.5.), Pavilosta (1.6./2.6.), Ventspils (3.6.).Wir empfanden sie, außer  Pavilosta, als wenig sehenswert, nutzten sie zum Einkauf und als reine Durchgangshäfen. Im letzteren Ort lud dagegen ein nicht endender Sandstrand zu Spaziergängen ein und ließ wenigstens ein bisschen Urlaubsstimmung aufkommen. Dazu gab`s einen sehr netten und ausgezeichnet deutsch sprechenden Hafenmeister, der uns viel über Land und Leute in Lettland erzählen konnte. Seit gestern (4.6.) liegen wir in Montu an der Südspitze der estnischen Insel Saaremaa im Westen der Rigaer Bucht. Ein nagelneu gestalteter Hafen (incl. Sauna) in natürlicher Umgebung überraschte uns hier. Und schon wieder schieben wir einen Tag Urlaub ein- Zeit haben wir im Moment genug…  
Sonnenaufgang im Hafen von Klaipeda

Hafen Festungsgraben
Ännchen von Tharau...

Sonnenuhr
Blick von der Düne

Freundliche Verabschiedung durch den litauschen Zoll