Freitag, 19. Juli 2019

Mit Siebenmeilenstiefeln gen Osten (29.6.-4.7.)


Blick über Tallin
So lange blieben wir dann doch nicht in Haapsalu, eigentlich sogar einen Tag zu lange. Denn mit dem nächsten Wetterbericht kamen völlig andere Windaussichten herein geflattert, welche fast alle Segler um uns herum zur Abreise bewegten, nur wir hatten Wäsche in der Hafenwaschmaschine. Aber ich sollte der Reihe nach erzählen. Eine perfekt Deutsch sprechende ältere Estin, welche wir auf einem Spaziergang entlang der Kurpromenade trafen (am Tschaikowski- Denkmal) und die uns viel über Region und Leute berichten konnte, wies uns auf das aktuell stattfindende Tschaikowskifestival hin. Armgard und Swen-Olaf (die Besatzung der „Element“) hatten genau dies auch gelesen und besorgten reaktionsschnell für alle Karten für ein Männerchorkonzert in der Domkirche der Ruine der Bischofsburg aus dem 13.Jh. Wir verabredeten uns in der Innenstadt und entschieden uns für ein Abendbrot im Café Dietrich, bei welchem schon an der Tür in Form von Aufklebern viele Auszeichnungen und Platzierungen ablesbar waren. Tatsächlich kam jeder voll auf seine Kosten, egal ob Fisch oder Risotto, Vorspeisenplatte oder Heidelbeer- Schoko- Torte, es war einfach nur lecker und dabei auch bezahlbar. Auf flinken Füßen musste es dann in Richtung Dom gehen. Nach einem kurzen Schreck wegen der nicht auffindbaren Eintrittskarten genossen wir, nach der Entwarnung, ein sehr beeindruckendes Klangerlebnis. Bässe, die durch Mark und Bein gingen, ungewöhnliche Instrumente und Liedsätze in der ausverkauften „Konzerthalle“ , die unglaubliche Akustik ( ein Ton hält 11 Sekunden) soll berühmten Häusern in nichts nachstehen- obwohl sonst keine Klassik- Fans, hatten wir uns definitiv richtig entschieden. Am nächsten Morgen leerte sich der Hafen in Haapsalu zusehends.





Als nach dem gemeinsamen Frühstück auch die Besatzung der „Element“ aufbrach, weil der Wind plötzlich ideal für eine Weiterfahrt war, blieben wir etwas betröppelt zurück. Wir nutzten den Tag für einen weiteren Bummel. Diesmal schauten wir uns den Bahnhof mit dem, im 20. Jh, längsten überdachten Bahnsteig (216m) Nordeuropas an, der für den russischen Zarenzug gebaut wurde und landeten am Ende wieder im Café Dietrich. Ein schöner Tag, den aber zumindest Carsten spätestens am nächsten Morgen (windstill) oder während der 9-stündigen Fahrt unter Motor, gern eingetauscht hätte. Spannend wurde es erst, als ein Schlauchboot der estnischen Polizei bzw. des Zolls neben uns auftauchte und uns aufforderte, den Motor zu stoppen. Schnell enterten zwei Uniformierte unser Boot und erklärten, dass dies eine Routinekontrolle wäre. Nach Sichtung von Pässen ,Bootspapieren und Führerschein verzichteten sie auf eine, auf finnischen Booten durchaus üblichen, Alkohol- und Zollkontrolle, lächelten freundlich in die Kamera und verschwanden genauso schnell wie sie gekommen waren.

Im Zielhafen Lohusalu erfreute Paule v.a. die natürliche Umgebung (Wald, Strand) und uns dazu die kostenfreie Sauna. Trotzdem ging es, wegen des guten Windes, am nächsten Tag weiter. Die estnische Hauptstadt Tallin stand auf der Tagesordnung, diesmal allerdings nicht der Stadthafen, sondern der Olympiahafen weiter östlich. Dafür war die Fahrstraße der Schnellfähren (Tallin. Helsinki) zu queren, eine Aktion, die wirklich gut getimt werden musste, kam gefühlt im 10 Minutentakt von rechts oder links immer eine herangebraust. Hart am Wind gelang das Manöver mit viel Herzklopfen meinerseits gut, als vor uns ungefähr 150 kleine Segel auftauchten, die den Blick auf die Hafeneinfahrt versperrten. Wie wir später erfuhren, fand hier seit 3 Tagen eine internationale Kinderregatta (Optimist, Laser) statt. Es war wirklich sehr beeindruckend, die Minisegler in ihrem Tun zu beobachten. Mit welcher Selbstverständlichkeit, Coolness und sichtbarer Freude sie hohe Wellen, nicht gerade wenig Wind, Hafeneinfahrt und Landung bewältigten, ihre Boote selbst abtakelten und beim Verladen halfen! Circa 200m vom Hafengelände entfernt fuhren Busse in Richtung Altstadt und einen solchen nutzten wir am nächsten Tag. Eigentlich ist ein Maulkorb für Hunde Bedingung um mitfahren zu dürfen, aber bei unserem Kuschelhund hatten wir noch nie über die Anschaffung eines solchen auch nur nachgedacht. Er durfte zum Glück auch so mitfahren und auch der nett gemeinte, aber einige unruhige Minuten auslösende, Hinweis einer Frau, dass auch in der Altstadt von Tallin Maulkorbpflicht für Hunde besteht und die Polizei Bußgelder bei Verstößen einzieht traf zum Glück auf uns nicht zu. Allerdings wechselten wir schon mal die Straßenseite um aus dem Blickfeld eines Polizisten zu kommen. Ohne festes Ziel schlenderten wir dann durch die historische Altstadt, bestaunten Stadtmauern und Türme, mittelalterliche Straßenzüge und Kirchen, genossen den Ausblick von oben über die Stadt und erschraken über das allgemein hohe Preisniveau der Gaststätten und Kneipen, aßen trotzdem indisch und fuhren am Ende des Tages pflastermüde aufs Boot zurück. So schön Tallin auch ist- und es ist wirklich eine tolle Stadt- uns zog es mit Macht in die Natur. So nutzten wir den folgenden Tag nur noch zum Einkaufen und für die Besichtigung einer Klosterruine und schon ging es 20sm unter Segeln bei frischem Wind weiter zur Insel Prangli.