Blick über Tallin |
So lange blieben wir
dann doch nicht in Haapsalu, eigentlich sogar einen Tag zu lange. Denn mit dem
nächsten Wetterbericht kamen völlig andere Windaussichten herein geflattert,
welche fast alle Segler um uns herum zur Abreise bewegten, nur wir hatten
Wäsche in der Hafenwaschmaschine. Aber ich sollte der Reihe nach erzählen. Eine
perfekt Deutsch sprechende ältere Estin, welche wir auf einem Spaziergang
entlang der Kurpromenade trafen (am Tschaikowski- Denkmal) und die uns viel
über Region und Leute berichten konnte, wies uns auf das aktuell stattfindende
Tschaikowskifestival hin. Armgard und Swen-Olaf (die Besatzung der „Element“)
hatten genau dies auch gelesen und besorgten reaktionsschnell für alle Karten
für ein Männerchorkonzert in der Domkirche der Ruine der Bischofsburg aus dem
13.Jh. Wir verabredeten uns in der Innenstadt und entschieden uns für ein
Abendbrot im Café Dietrich, bei welchem schon an der Tür in Form von Aufklebern
viele Auszeichnungen und Platzierungen ablesbar waren. Tatsächlich kam jeder
voll auf seine Kosten, egal ob Fisch oder Risotto, Vorspeisenplatte oder
Heidelbeer- Schoko- Torte, es war einfach nur lecker und dabei auch bezahlbar.
Auf flinken Füßen musste es dann in Richtung Dom gehen. Nach einem kurzen
Schreck wegen der nicht auffindbaren Eintrittskarten genossen wir, nach der
Entwarnung, ein sehr beeindruckendes Klangerlebnis. Bässe, die durch Mark und
Bein gingen, ungewöhnliche Instrumente und Liedsätze in der ausverkauften
„Konzerthalle“ , die unglaubliche Akustik ( ein Ton hält 11 Sekunden) soll
berühmten Häusern in nichts nachstehen- obwohl sonst keine Klassik- Fans,
hatten wir uns definitiv richtig entschieden. Am nächsten Morgen leerte sich
der Hafen in Haapsalu zusehends.
Als nach dem gemeinsamen Frühstück auch die
Besatzung der „Element“ aufbrach, weil der Wind plötzlich ideal für eine
Weiterfahrt war, blieben wir etwas betröppelt zurück. Wir nutzten den Tag für
einen weiteren Bummel. Diesmal schauten wir uns den Bahnhof mit dem, im 20. Jh,
längsten überdachten Bahnsteig (216m) Nordeuropas an, der für den russischen
Zarenzug gebaut wurde und landeten am Ende wieder im Café Dietrich. Ein schöner
Tag, den aber zumindest Carsten spätestens am nächsten Morgen (windstill) oder
während der 9-stündigen Fahrt unter Motor, gern eingetauscht hätte. Spannend
wurde es erst, als ein Schlauchboot der estnischen Polizei bzw. des Zolls neben
uns auftauchte und uns aufforderte, den Motor zu stoppen. Schnell enterten zwei
Uniformierte unser Boot und erklärten, dass dies eine Routinekontrolle wäre.
Nach Sichtung von Pässen ,Bootspapieren und Führerschein verzichteten sie auf
eine, auf finnischen Booten durchaus üblichen, Alkohol- und Zollkontrolle,
lächelten freundlich in die Kamera und verschwanden genauso schnell wie sie
gekommen waren.
Im Zielhafen Lohusalu erfreute Paule v.a. die natürliche
Umgebung (Wald, Strand) und uns dazu die kostenfreie Sauna. Trotzdem ging es,
wegen des guten Windes, am nächsten Tag weiter. Die estnische Hauptstadt Tallin
stand auf der Tagesordnung, diesmal allerdings nicht der Stadthafen, sondern
der Olympiahafen weiter östlich. Dafür war die Fahrstraße der Schnellfähren
(Tallin. Helsinki) zu queren, eine Aktion, die wirklich gut getimt werden
musste, kam gefühlt im 10 Minutentakt von rechts oder links immer eine
herangebraust. Hart am Wind gelang das Manöver mit viel Herzklopfen meinerseits
gut, als vor uns ungefähr 150 kleine Segel auftauchten, die den Blick auf die
Hafeneinfahrt versperrten. Wie wir später erfuhren, fand hier seit 3 Tagen eine
internationale Kinderregatta (Optimist, Laser) statt. Es war wirklich sehr
beeindruckend, die Minisegler in ihrem Tun zu beobachten. Mit welcher
Selbstverständlichkeit, Coolness und sichtbarer Freude sie hohe Wellen, nicht
gerade wenig Wind, Hafeneinfahrt und Landung bewältigten, ihre Boote selbst
abtakelten und beim Verladen halfen! Circa 200m vom Hafengelände entfernt
fuhren Busse in Richtung Altstadt und einen solchen nutzten wir am nächsten
Tag. Eigentlich ist ein Maulkorb für Hunde Bedingung um mitfahren zu dürfen, aber
bei unserem Kuschelhund hatten wir noch nie über die Anschaffung eines solchen
auch nur nachgedacht. Er durfte zum Glück auch so mitfahren und auch der nett
gemeinte, aber einige unruhige Minuten auslösende, Hinweis einer Frau, dass
auch in der Altstadt von Tallin Maulkorbpflicht für Hunde besteht und die
Polizei Bußgelder bei Verstößen einzieht traf zum Glück auf uns nicht zu.
Allerdings wechselten wir schon mal die Straßenseite um aus dem Blickfeld eines
Polizisten zu kommen. Ohne festes Ziel schlenderten wir dann durch die
historische Altstadt, bestaunten Stadtmauern und Türme, mittelalterliche
Straßenzüge und Kirchen, genossen den Ausblick von oben über die Stadt und
erschraken über das allgemein hohe Preisniveau der Gaststätten und Kneipen,
aßen trotzdem indisch und fuhren am Ende des Tages pflastermüde aufs Boot
zurück. So schön Tallin auch ist- und es ist wirklich eine tolle Stadt- uns zog
es mit Macht in die Natur. So nutzten wir den folgenden Tag nur noch zum
Einkaufen und für die Besichtigung einer Klosterruine und schon ging es 20sm
unter Segeln bei frischem Wind weiter zur Insel Prangli.
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